Über mich
Ich wurde 1975 in der sächsischen Kleinstadt Großenhain geboren und wuchs dort mit zwei älteren Schwestern sehr behütet auf. Schräg über den Hof, der einer Trabantwerkstatt angehörte, wohnten meine Großeltern. Jeden Morgen, wenn ich zur Schule ging, drehte ich mich an der Hausecke nochmal um und schaute zu ihren Fenstern hinauf. Auf einem Drehstuhl saß dort hinter dem Wohnzimmerfenster meine Oma und winkte mir zum Abschied. Im Winter, wenn es morgens noch dunkel war, gab sie mir mit einer Taschenlampe Lichtsignale. Ich ging nie ohne einen Gruß von ihr. Heute wohne ich mit meinem Mann und meinen beiden Kindern schon seit zwanzig Jahren in Berlin, meine Oma ist noch viel länger tot, und trotzdem habe ich immer noch den Impuls mich umzudrehen und ihr zu winken, bevor ich um die Hausecke verschwinde. Neben meinen Großeltern wohnten mein Onkel und meine Tante mit ihren vier Kindern – direkt über der Trabantwerkstatt. Drei Cousins und eine Cousine – alle mindestens sechs bis zehn Jahre älter als ich und mit wesentlich größerem Bewegungsradius, genau wie meine Schwestern. Als Nachzügler blieb ich von ihren Aktivitäten oft ausgeschlossen und musste mir eigene Beschäftigungen suchen. Davon fand ich genug, denn ich zeichnete gern Bildergeschichten im Stil der Mosaikhefte, trainierte im Turnverein für den nächsten Wettkampf und verbrachte den Rest der Zeit in der Bücherei. Einer ganz besonderen Bücherei, denn die Großenhainer ist die erste öffentliche Volksbücherei Deutschlands, 1828 von Karl Preusker gegründet und auch nach ihm benannt. Sie hat mir mit Büchern wie “Die fliegende Windmühle”, “Detektiv Pinky” und “Krieg der Knöpfe” Zugang zu einer Welt verschafft, in die ich immer wieder gern verschwinde – schreibend wie lesend. Und manchmal begegne ich dort auch meiner Oma, setze mich auf ihren Drehstuhl und schaue ihr dabei zu wie sie nach Batterien für die Taschenlampe sucht.